Anke Hengelmolen-Greb
Für meine ehemaligen Kursteilnehmer, aber auch für alle therapeutischen Kollegen biete ich einen kleinen "Service" an, sie erhalten einmal im Monat einen NeuroScience-Letter von mir.
Da ich ja der Meinung bin, dass Therapeuten UP TO DATE sein sollten und dies am effektivsten durch das Lesen von WISSENSCHAFTLICHEN STUDIEN passiert, versende ich in diesem Letter immer die Zusammenfassung einer aktuellen, neurologischen Studie, praktischerweise in deutscher Übersetzung.
.... quasi Therapie-Wissenschaft in wohldosierten Häppchen ��☝️
Wenn Ihr diesen NeuroScience-Letter ebenfalls erhalten möchtet, dann schreibt mir einfach eine PN per E-Mail an anke.greb@bobath-grundkurs.de.
NeuroScience-Letter Nr. 92 für den Monat März:
Heute geht es um ein nicht so schönes Thema – nun ist das Plastik auch in den Gehirnen angekommen. Hm, erklärt vielleicht so einiges…? OK, Ironie aus 😉
Viel Spaß bei Schmökern!!
Immer mehr Mikro- und Nanoplastik
Ein pulverisierter Plastiklöffel im Gehirn
Frage: Wie viel Mikro- und Nanoplastik haben Menschen in ihren Gehirnen?
Antwort: Einer aktuellen Autopsiestudie zufolge tragen Menschen im mittleren Alter etwa sechs Gramm Nanoplastik im Gehirn, Alzheimerkranke über 30 Gramm.
Bedeutung: Die Plastikkonzentration im Gehirn ist in den vergangenen acht Jahren um etwa 50% gestiegen. Die Konsequenzen sind noch unklar.
Einschränkung: Die Methode zum Nachweis von Plastik im Gehirn muss noch weiter evaluiert werden, Analyse nur bei wenigen Menschen aus den USA.
Quelle: Nihart AJ et al. Bioaccumulation of microplastics in decedent human brains. Nat Med 2025. Aktuelle Zusammenfassung aus dem Springer-Verlag.
Das menschliche Gehirn besteht zu etwa 0,5% aus Nanoplastik – Tendenz weiter steigend. Nach Resultaten eine Autopsiestudie reichert sich Plastik im Gehirn 10- bis 30-fach stärker an als in anderen Organen – mit bislang noch völlig unklaren Folgen.
Die Produktion von Plastik hat sich seit 1950 von etwa 1,5 Millionen Tonnen auf nunmehr etwa 400 Millionen Tonnen im Jahr ausgeweitet. Und davon landen nach aktuellen Berechnungen etwa 50 Millionen Tonnen pro Jahr in der Umwelt. Dort zersetzt es sich kaum, vielmehr zerbröselt es zu Mikro- und Nanopartikeln, die dann über die Luft, das Wasser und die Nahrung wieder zu uns zurückfinden. Doch auch das noch nicht weggeworfene Plastik in unserer Umgebung kann uns durch Abrieb, Zerfall oder als Zusatz in Kosmetika mit Mikro- und Nanopartikeln belasten. Es sollte also niemanden wundern, wenn exponentiell steigende Werte von Mikro- und Nanoplastik in der Umwelt zu einer exponentiellen Zunahme solcher Partikel im menschlichen Körper führen – mit bislang noch unklaren Konsequenzen. Bedenklich ist dabei vor allem, dass sich besonders viel Plastik im Gehirn ablagert. Nach Resultaten einer Autopsiestudie hat jeder US-Amerikaner im mittleren Alter im Schnitt etwa 6 Gramm Plastik in seinem Denkorgan – das entspricht dem Gewicht eines Esslöffels aus Plastik. Vielleicht noch beunruhigender sind zwei weitere Erkenntnisse: Verglichen mit Gehirnen aus dem Jahr 2016 ist die Plastikkonzentration in Gehirnen aus dem Jahr 2024 um rund 50% gestiegen, und im Hirn von Alzheimerkranken lassen sich besonders viele der Kleinstpartikel beobachten.
Bis zu 60 Gramm Plastik im Gehirn
Allerdings ist es nicht leicht, Mikroplastik aus anthropogenen Quellen im menschlichen Körper nachzuweisen. Größere Partikel sind über spezielle mikroskopische Verfahren gut sichtbar, Nanopartikel aber nicht. Für die quantitative Bestimmung sind daher andere Verfahren nötig. Ersten Versuchen zufolge könnte sich besonders die Pyrolyse-Gaschromatographie-Massenspektrometrie (Py-GC/MS) zur Analyse des Plastikgehalts in menschlichem Gewebe eignen. Dafür wird das biologische Material zunächst in Lauge aufgelöst. Den Rest erhitzt man in einer Pyrolysezelle, die dabei entstehenden Gase werden per Chromatografie getrennt und schließlich im Massenspektrometer identifiziert und quantifiziert.
Mit einem solchen Verfahren haben Toxikologen um Dr. Alexander Nihart vom College of Pharmacy an der Universität in Albuquerque in den USA Gewebeproben von 28 Menschen analysiert, die im Jahr 2016 verstorben waren, sowie Proben von 24 Toten aus dem Jahr 2024. Zusätzlich analysierten sie Gewebe von zwölf Menschen, die vor dem Tod eine Demenz hatten. Die Proben aus dem Jahr 2016 stammten von Personen im mittleren Alter von 45 Jahren, die Verstorbenen aus dem Jahr 2024 waren im Mittel 51 Jahre alt, die Demenzkranken 77 Jahre. Untersucht wurde Material aus der Leber, den Nieren und dem Frontallappen.
In den 2024er-Proben der Leber ließen sich im Mittel 465 Mikrogramm/Gramm (µg/g) Mikro- und Nanoplastik nachweisen, in den Proben aus dem Jahr 2016 waren es nur 142 µg/g. Die Nierenwerte beider Kohorten waren hingegen sehr ähnlich (666 und 538 µg/g). Deutliche Unterschiede gab es jedoch bei den Hirnanalysen: Die jüngeren Proben wiesen im Frontallappen einen Mittelwert von über 4900 µg/g auf, die älteren Proben von rund 3400 µg/g. Im Gehirn ist damit die Konzentration von Mikro- und Nanoplastik 10- bis 30-fach höher als in anderen Organen. Ähnliches galt für die Medianwerte. Die Maximalkonzentration erreichte rund 9000 µg/g, die minimale 300 µg/g.
Hochgerechnet auf das durchschnittliche Gesamtgewicht des Gehirns ergibt sich eine mittlere Plastikmasse im menschlichen Denkorgan von rund 6 g – das entspricht etwa einem Esslöffel aus Plastik sowie einem Anteil von 0,5% an der Hirnmasse.
Noch drastischer waren die Konzentrationen unter den Alzheimerkranken: Hier befinden sich im Mittel fünf pulverisierte Plastikesslöffel oder eineinhalb Plastiktragetaschen im Gehirn (27.000 µg/g), als Maximalwert wurde eine Konzentration von 48.000 µg/g identifiziert. Das würde einer Plastikmasse von 60 Gramm im gesamten Gehirn entsprechen – so viel wiegt eine leere Duschgelflasche, eine kleine Tupperdose oder ein komplettes Besteckset aus Plastik.
Konzentration hängt nicht vom Alter ab
Etwa drei Viertel des Hirnplastiks besteht aus Polyethylen, der Rest vor allem aus Polypropylen und PVC. Eine ähnliche Zusammensetzung ergibt sich für die Nieren, jedoch mit einem etwas geringeren PE-Anteil. Die Leber weist beim Plastik einen Polyethylen-Gehalt von rund 40% auf. Hier dominiert ein bunter Mix aus allen möglichen Komponenten.
Mit mikroskopischen Techniken ließen sich in der Leber 1–5 µm große Plastikpartikel nachweisen, die an Fetttröpfchen erinnerten, in den Nieren befand sich das Mikroplastik vor allem in den Glomeruli und Tubuli. Die Gehirnproben blieben von größeren Partikeln verschont, hier lagerte sich vor allem Nanoplastik ab. Elektronenmikroskopische Aufnahmen wiesen auf Splitter und Flocken im Bereich von 100–200 nm. Die Demenzkranken zeigten solche Inklusionen vor allem in Regionen mit einem hohen Anteil an inflammatorischen Zellen und in den Gefäßwänden.
Über welche Mechanismen das Mikro- und Nanoplastik ins Gehirn und vielleicht auch wieder aus dem Gehirn gelangt, bleibt unklar. Nihart und Mitarbeitende vermuten aufgrund von Tierexperimenten eine Clathrin-abhängige Endozytose sowie eine ungezielte Aufnahme per Makropinozytose.
Zunächst gingen sie davon aus, dass immer mehr Plastik im Laufe des Lebens im Körper akkumuliert. Dies scheint jedoch nicht der Fall zu sein – die Plastikkonzentration war nicht primär vom Alter, sondern vom Jahr der Untersuchung abhängig. Die Forschenden vermuten daher eine Gleichgewichtsreaktion – die Plastikkonzentration im Gehirn scheint mehr die aktuelle Umweltkonzentration zu spiegeln: Steigt die Belastung, nimmt die Konzentration im Gehirn zu, fällt sie, sinkt möglicherweise auch die Plastikmenge im Gehirn.
Noch unklar, woher das Plastik stammt
Die Analyse wirft jede Menge Fragen auf: So ist noch weitgehend unklar, woher das Mikro- und Nanoplastik stammt, das sich in unseren Gehirnen anreichert. So sind es vor allem Entwicklungsländer ohne funktionierende Abfallsysteme, welche Plastik in der Umwelt entsorgen, die analysierten Proben stammen jedoch aus den USA. Als eine wichtige Quelle in Industrieländern gilt der Reifenabrieb, hier spielt Polyethylen aber kaum eine Rolle und kann die hohen Werte im Gehirn nicht erklären. Nahe ans Gehirn gelangen jedoch Kosmetikprodukte wie Zahncremes und Duschgels mit Mikroplastik als Schleifmittel. Solche Produkte sind seit einigen Jahren in der EU immerhin verboten, die Verbotsliste wurde 2023 noch einmal erweitert. Als weitere große Emissionsquelle gelten Textilien aus Plastik – vor allem beim Waschen setzen sie Mikroplastik frei. Direkt in den Körper gelangt Mikroplastik über Nahrungsmittel – Wasserbewohner zeigen eine besonders hohe Mikroplastik-Belastung.
Letztlich wären also ähnliche Studien in unterschiedlichen Ländern nötig, um die Dimension des Problems zu erfassen. Unklar ist auch die gesundheitliche Relevanz der Befunde, letztlich dürfte aber auch hier die Dosis das Gift machen. Die Beobachtungen der Forschenden um Nihart in den Proben von Alzheimerkranken könnten jedoch Hinweise darauf liefern, dass Mikro- und Nanoplastik im Gehirn entzündliche Prozesse triggert oder verstärkt. Die hohe Plastikkonzentration in den Gehirnen Demenzkranker lässt sich vermutlich auf die Störung der Bluthirnschranke zurückführen.
Allerdings muss auch die Zuverlässigkeit der Nachweismethode noch genauer evaluiert werden. Gut möglich, dass das Thema die Forschung noch einige Zeit beschäftigen wird.
| Anke Hengelmolen-Greb, M.Sc., PT, Bobath-Instruktorin IBITA, Heilpraktikerin (PT), Handicap-Tauchlehrerin